Interviews

Auf ein Wort mit Michael Timm

Michael Timm, Bass im Rundfunkchor Berlin

Der Bassist Michael Timm ist seit 1991 im Rundfunkchor Berlin engagiert. Gemeinsam mit drei seiner Kollegen ist er Teil des Ensembles Vokalzeit, das auch die RundfunkchorLounge mitgestaltet. Im Interview erzählt er von der kommenden RundfunkchorLounge am 16. Januar, dem Zusammenhang von Humor und Musik und seiner Zeit im Rundfunkchor Berlin.

»Humor in der Musik« das Thema der zweiten RundfunkchorLounge. In welcher Rolle bist du dabei?

Ich bin als Mitglied des Ensembles Vokalzeit dabei, das ist ein Quartett von vier Herren aus dem Rundfunkchor mit Klavierbegleitung. Wir werden Klassikparodien aufführen, zum Beispiel die »Loreley« von Friedrich Silcher, »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, in zwei Fassungen: einmal als »mathematische Loreley« mit dem Satz des Pythagoras, zum anderen als »sächsische Loreley«, in der die Geschehnisse vom Rhein an die Elbe verlegt werden. Das fällt mir als Westfalen nicht ganz so leicht, aber wir haben sachkundige Kollegen dabei.

Funktioniert Humor in der Musik nur über den Text?

Nicht nur. Wir werden zum Beispiel »Die Denkmalsschänderin« singen, in der es um den Streit zwischen einer Stubenfliege und einer Spinne geht. Die Fliege fliegt immer um eine Büste von Franz Liszt herum, und das ärgert die Spinne sehr, aber was dann passiert, will ich nicht verraten. Da tauchen musikalische Zitate auf, und da entsteht Komik auch über die Musik.

Ist »ernste« Musik also doch ein geeignetes Medium für Humor?

Ernste Musik kann durchaus humorvoll sein, insbesondere dann, wenn man Dinge zusammenbringt, die eigentlich nicht zusammengehören. Ich habe ein großes Vorbild im grafischen Bereich, Gerhard Glück, der malt in Öl Karikaturen. Eine haben wir als Coverabbildung für eine Vokalzeit-CD gewählt: Da steckt ein Mann im Frack seinen Kopf in einen Fluss, neben ihm am Ufer steht sein Zylinder, und das Bild heißt: »Smetana nimmt am Mittellauf der Moldau eine Hörprobe«.

Warum singst du überhaupt bei Vokalzeit? Ist Kammermusik wichtig für einen Chorsänger?

Ganz wichtig, weil man sich in einem kleinen Ensemble noch einmal anders wahrnimmt und auf die anderen einstellt, das ist ganz wichtig für die Stimmpflege. Zum zweiten wählt man selbst das Repertoire aus und erarbeitet die Interpretationen. Im Chor bin ich »nur« ein Ausführender, ich bin weder an der Programmatik beteiligt noch an der Interpretation, und wenn da etwas kommt, was ich nicht mag, hab ich Pech gehabt.

Ist das Singen im Rundfunkchor Berlin dennoch ein Traumberuf für dich?

Hermann Hesse sagt: »Ein Beruf ist immer ein Unglück, eine Beschränkung und Resignation.« Bei aller Wertschätzung für Hermann Hesse würde ich nicht ganz so weit gehen. Ich singe seit 30 Jahren im Chor und tue das sehr gern. Natürlich erlebt man Höhen und Tiefen. Die ersten fünf Jahre war ich total begeistert, und dann kommt nach und nach Routine hinein, aus der aber immer wieder bestimmte Erlebnisse herausragen. Insgesamt ist es schon etwas ganz Besonderes: Man lernt viel Repertoire kennen, es gibt kaum große Dirigenten, die ich nicht erlebt habe, und wir haben viele schöne Reisen gemacht.

Welche Erlebnisse ragen im Rückblick heraus aus deinen 28 Jahren beim Rundfunkchor Berlin?

Ich war ein Fan von Claudio Abbado – wenn ich zurückdenke etwa an die »Reise nach Reims« von Rossini oder an den »Parsifal«. Oder mit Sawallisch das Requiem von Hindemith auf Texte von Walt Whitman, ich mag Hindemith eigentlich gar nicht so sehr, aber das war sehr außergewöhnlich. Ein besonderes Erlebnis war für mich die kleinste solistische Rolle, die ich je gesungen habe: in »Pelléas et Mélisande« 2006 in Salzburg mit Simon Rattle. Da konnte ich 30 Sekunden zu einer Vier-Stunden-Oper beitragen. Ich wurde in die Bühnenhandlung mit eingebaut und hatte immer Sorge, dass ich meinen Einsatz verpasse. Ein ganz großer Höhepunkt war auch die zweite Sinfonie von Mahler mit Simon Rattle. Und zuletzt die beiden Bach-Passionen.

Du wirst im Herbst pensioniert. Was wirst du am meisten vermissen?

Ich habe zu vielen Sängerinnen und Sängern einen persönlichen Draht, aber ich werde vor allem die Bassgruppe vermissen. Vielleicht werde ich ja auch ab und zu nochmal gefragt, Projekte mitzusingen. Einen großen Wunsch hätte ich noch: dass wir das »human requiem« auf dem Gelände des BER machen. Wir haben das zwei Jahre vor Fertigstellung der Elbphilharmonie dort auf der Baustelle aufgeführt – das war ein gutes Omen für die Weiterführung und Fertigstellung.

Hast du schon Pläne für den Ruhestand?

Mit Vokalzeit wird es auf jeden Fall weitergehen. Ich habe gerade zusammen mit meinem Sohn, der Jazzpianist in Leipzig ist, ein Label gegründet, und es kommen auch Anfragen für den Filmchor Berlin, den ich zusammen mit dem Basskollegen Sören von Billerbeck gegründet habe. Ich habe viele Ideen – mal sehen, was ich verwirklichen kann. Ich bin einerseits traurig, dass ich aufhöre – es war eine lange, schöne Zeit im Rundfunkchor –, andererseits freue ich mich auf neue Dinge: Ich hab zum Beispiel eine Streuobstwiese mit alten Apfelbäumen nördlich von Berlin…

Welche Musik hörst du privat?

Ich höre selten Musik und genieße oft die Stille. Aber wenn ich Musik höre, dann meistens Jazz, aber auch da eher Mainstream. Und nach sportlichen Werken wie »Moses und Aron« von Schönberg höre ich gern C-Dur.

Welche Konzerte des Rundfunkchors Berlin sollte man im neuen Jahr nicht verpassen?

Die Johannes-Passion mit Rattle im März und mit Barenboim die »Quattro pezzi sacri« von Verdi – darauf freue ich mich besonders.

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