Interviews

Auf ein Wort mit Simon Halsey

Simon Halsey (c) Matthias Heyde

Simon Halsey war von 2001 bis 2015 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunkchores Berlin. Mit Ende seiner Amtszeit wurde er zum Ehrendirigenten des Chores ernannt und bleibt dem Ensemble als regelmäßiger Gastdirigent verbunden. Im Interview spricht er über das kommende Mitsingkonzert on Tour in Barcelona.

Lieber Simon, du hast 2003 das erste Mitsingkonzert des Rundfunkchores Berlin dirigiert. Warum ist dir dieses Projekt heute immer noch so wichtig?

Als wir damals mit den Mitsingkonzerten angefangen haben, war der Rundfunkchor Berlin ein großartiger Profichor. Aber uns hat etwas gefehlt. Wir haben gedacht: Dieser Chor braucht mehr Kontakt zur Stadt, muss sich stärker in Berlin verwurzeln. So viele Menschen auf der ganzen Welt singen gerne – und sei es nur unter der Dusche. Da darf sich ein Profichor nicht isolieren. Wir brauchen eine Verbindung zur Welt! Als wir dann im Haus des Rundfunks mit 500 Leuten angefangen haben, wussten wir noch nicht so recht, was auf uns zukommt, aber im Endeffekt hat es allen Spaß gemacht. Und für uns wurde klar: Wir können uns eine musikalische Familie bauen. Dann sind wir in die Philharmonie gezogen und haben festgestellt, dass das musikalische Niveau hervorragend ist. Mittlerweile sind die MitsängerInnen total gut vorbereitet und die Qualität wird immer besser. Das ist inzwischen auch anders als bei den britischen Singalong-Konzerten. Da haben alle viel Spaß, aber ehrlich gesagt ist das Niveau nicht immer berauschend. Dadurch werden die Konzerte auch musikalisch interessant und wir sind sichtbarer in unserer Community geworden. Junge Leute kommen dazu, Nachwuchsdirigenten schauen sich die Proben an. Das ist schön zu sehen.

Was ist mit den Leuten, die gerne singen, aber sich vielleicht immer noch nicht trauen, weil sie denken: »Verdi-Requiem«, das kann ich doch gar nicht?

Wir haben schon immer versucht, auch diese Leute zu erreichen. Ich sage ihnen: Du singst gerne unter der Dusche? Komm und sing mit 1000 Leuten, die auch gerne unter der Dusche singen. In einem Amateurchor können sich so viele soziale Beziehungen entwickeln. Gerade für Leute, die sich vielleicht alleine fühlen, ist das ein wichtiger Aspekt. Und selbstverständlich muss auch ein Profichor Teil davon sein! Natürlich singen im Chor 65 fantastische Musiker, aber das ist nicht alles – wir sind auch ein Teil Berlins, Deutschlands und Europas.

In Europa hat sich die politische Atmosphäre in den letzten Jahren spürbar verändert. Wirkt sich das auch auf die Mitsingkonzerte aus?

Absolut! Ich persönlich hätte nie erwartet, dass ich mal über einen deutschen Pass nachdenken würde. Ich dachte immer: Warum? Ich bin als Engländer doch Teil der Europäischen Union. Ich habe allen meinen Studenten, die ich im Dirigieren unterrichte, immer schon empfohlen, dass sie ein Auslandsjahr machen, eine andere Sprache lernen, mit anderen Menschen zusammenkommen. Das ist noch wichtiger geworden. Und auch die Mitsingkonzerte können etwas bewirken. Da sind auf einmal 1000 Leute in Barcelona, die feststellen, dass sie wahnsinnig viele Gemeinsamkeiten haben.

Wie unterscheidet sich für dich als Dirigent die Arbeit mit einem Profichor von den Mitsingkonzerten?

Generell ist das Ziel immer das gleiche: einen möglichst guten Job zu machen. Bei einer Probe geht es um Arbeit, Enthusiasmus und Information, das gilt für Profis wie für Laien. Und das Ziel ist, zusammen zu musizieren. Laien profitieren natürlich enorm davon, quasi zwei Tage wie Profis zu arbeiten. Aber der Chor zieht auch extrem viel aus dieser Erfahrung. Das Repertoire spielt dabei eine große Rolle – dass wir immer wieder andere Stücke nehmen, macht es auch für uns spannend.

Für das Mitsongkonzert in Barcelona habt ihr das »Verdi Requiem« ausgewählt. Warum?

Wir haben nach etwas gesucht, das auch in Katalonien relativ bekannt ist. Wir wollten zum Beispiel nicht mit Schuberts großartiger »Messe« nach Barcelona fahren. Die kennen in Deutschland viele, aber in Südeuropa ist sie nicht so bekannt. So kamen wir auf Verdis »Requiem«. Ich glaube, es wird wunderbar – so nah am Mittelmeer.

Hast du eine besondere Erinnerung an eines der vergangenen Mitsingkonzerte?

Mein letztes als Chefdirigent des Rundfunkchores am 1. April 2015 war sehr wichtig. Nach dem Konzert ist unser Bass David Stingl auf die Bühne gekommen und hat vor 2000 Leuten verkündet, dass ich zum Ehrendirigent ernannt werde. Stolz bin ich auch auf das »War Requiem«. Das ist absolut kein selbstverständliches Stück für ein Mitsingkonzert. Aber wir haben es gemacht und wir haben es gut gemacht.

Hast du Rituale vor und nach einem Konzert?

Ich bin immer sehr ängstlich. Vor den Mitsingkonzerten schlafe ich schlecht und denke mir: Warum machst du das nur? Dann komme ich morgens zum Veranstaltungsort und die Leute sind begeistert. Nach 30 Sekunden geht es mir dann wieder gut. Um 18 Uhr ist dann das Konzert und es ist einfach wunderbar. Und am Montag bin ich krank. Jedes Mal. Weil die Anspannung abfällt.

Welche Musik hörst du privat?

Ganz ehrlich: Ich höre privat gar nicht so viel Musik. Wenn du drei Stunden Bach an einem Tag hattest, dann ist das auch erst mal genug. Meine Frau ist Musikjournalistin, hört also beruflich auch viel Musik. Privat gucken wir dann auch Fernsehen oder gehen ins Kino. Wir versuchen, mehr Sport zu machen und so ein bisschen mehr Balance in unser Leben zu bringen. Das ist schwer als Musiker. Als ich hier beim Rundfunkchor war, habe ich sieben Tage die Woche zwölf Stunden gearbeitet. Zwischen Planung und Probe kommt das schnell zusammen, zumal ich auch immer für den Chor da sein wollte. Inzwischen höre ich wieder mehr Musik, aber vor allem die, die ich nicht selber mache: Orgelmusik und Palestrina, Streichquartette und Klaviersonaten. Bei der Chormusik, die ich auch selbst dirigiere, bin ich sofort in einer Art Analysemodus. Das macht in der Freizeit nicht so viel Spaß.

In Barcelona bist du inzwischen Artistic Advisor im Palau de la Música, was kannst du den SängerInnen in Deutschland von diesem Konzerthaus erzählen?

Dieser Saal ist ein Wunder! Er wurde nicht umsonst von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Außerdem ist es der einzige Saal in der ganzen Welt, in dem Chöre zu Hause sind, aber kein Orchester. Es gibt sieben Chöre, einen Konzertsaal, einen Kammermusiksaal, sieben Probenräume, eine Chorschule für Kinder, über 500 Sänger, dazu 36 Gesangslehrer. Meine Aufgabe besteht vor allem darin, die Orchester dieser Welt einzuladen, gemeinsam mit den Chören zu singen. Normalerweise laden die Orchester die Chöre ein, aber hier ist es umgekehrt. Auf unsere Einladung besuchen uns jedes Jahr Dirigenten wie Simon Rattle, Daniel Barenboim oder John Eliot Gardiner. In Barcelona kommen natürlich die Architektur, das Wetter, das gute Essen und der gute Wein hinzu. Ich habe keinen Zweifel: Unseren deutschen Kollegen wird es gefallen!

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