Interviews

Auf ein Wort mit Gayle Tufts

Gayle Tufts Portrait

Die Entertainerin Gayle Tufts stammt aus den USA, lebt jedoch seit knapp 30 Jahren in Deutschland, wo sie sich mit erfolgreichen Comedy- und Musikshows einen Namen gemacht hat. Ihr Markenzeichen ist der Sprachmix aus Deutsch und Englisch, genannt „Dinglish“. Seit der Saison 18/19 moderiert die Wahlberlinerin die RundfunkchorLounge. Im Interview spricht sie über dieses besondere Konzertformat und das Thema der kommenden Lounge, Frauen in der Musik.

Du moderierst die RundfunkchorLounge nun bereits in der zweiten Saison. Was gefällt Dir besonders an diesem Format?

Ich finde, es sprengt viele Schubladen. Man kann Klassik-Fan sein, new music fan, man kann auch Pop-Fan sein – einfach jemand, der Stimmen liebt. Es gibt ein bisschen etwas von allem und man lernt viele wunderbare neue Musikstücke kennen. Das Publikum ist auch sehr interessant, sehr heterogen: junge Hipster neben älteren Klassik-Fans.
Das silent green Kulturquartier ist eine tolle Location. Ich sage immer: »Wo sonst sollte man einen dunklen Mittwochabend in Berlin verbringen, wenn nicht in einem ehemaligen Krematorium im Wedding?« Als Performanceort hat das etwas ganz Besonderes. Wir sitzen nicht in Reihen, sondern im Kreis auf Kissen oder Stühlen, und man ist ganz nah am Chor. Man spürt körperlich die Vibrationen dieser wahnsinnigen Stimmen, diese Harmonie. Es ist so live und präsent. In einer Welt voller Computer und virtual reality ist das eine Dosis real reality. Es erinnert mich an meine Performance-Art-Vergangenheit in New York in den 80er-Jahren. Ein ganz besonderer Ort mit wahnsinnig talentierten Menschen und man hat das Gefühl: »Wow, das ist einmalig hier.«

Wie entsteht so ein Lounge-Abend? – von der Idee bis zum Abend selbst?

Die Themen kommen von Gijs Leenaars und dem Chor, aber auch von mir. Wir planen etwa eine Saison voraus und sagen dann z.B. am Ende eines Lounge-Abends: »Weißt du, was richtig cool wäre? Wenn wir nächste Saison was zum Thema Frauen machen würden.« Ich glaube, Gijs geht auch danach, was ihn musikalisch interessiert, was er gerne mal machen würde. Ungefähr sechs Wochen vor der Lounge treffe ich mich dann mit Gijs, dem Projektmanagement und dem Gast der nächsten Lounge. Gijs stellt vorher in Absprache mit dem Chor ein Programm aus Musikwünschen und Themen zusammen. Das gehen wir dann Schritt für Schritt durch und ich frage: »Warum habt ihr dieses Lied ausgewählt? Wo ist der rote Faden? Wie kann ich helfen, diese Musik mehr in den Fokus zu bringen?«

In der nächsten RundfunkchorLounge im Januar mit dem Titel »Spice Girls« dreht sich alles um das Thema »Frauen in der Musik«. Was meinst Du, wie kommt es, dass das 2020 (immer noch) ein Thema ist?

Frauen gab es in der Musik schon immer, aber wir haben lange nichts von ihnen gehört. Besonders klassische Musik is the land of the alte, weiße Mann – oder des jungen, weißen Mannes, in Mozart‘s case. Und das ist nicht die ganze Wahrheit. Männer hatten einfach mehr Zugang zu Bildung, wurden mehr gefördert. Das war auch in vielen anderen Genres so, z.B. in der Literatur. Dabei gab es auch schon damals großartige Komponistinnen, Arrangeurinnen und Musikerinnen, wie z.B. Clara Schumann. Eine weitere Frage ist auch: Where do we go from here? Wo sind die Dirigentinnen, die Komponistinnen? Die sind da, aber noch in der Minderheit.

Im Chor gibt es ja natürlicherweise eine paritätische Verteilung von Frauen und Männern. Wie erlebst Du das generell in der Musikwelt – brauchen wir eine Frauenquote, z.B. in Orchestern?

Ich weiß nicht, ob wir eine Quote brauchen. Ich würde da einen Schritt vorher ansetzen, bei der Bildung. Ich denke, wir müssen gucken: Warum gibt es so wenige Frauen in bestimmten Bereichen? Wir brauchen Strukturen, mit denen wir jungen Frauen helfen und sie fördern können, z.B. durch Stipendien. Wir müssen Kindern schon in der Grundschule Zugang zu Musikprogrammen geben. Ich selbst wäre nie in Deutschland ohne das Musik- und Theaterprogramm in der klitzekleinen Arbeiterstadt in Massachusetts, aus der ich komme. Ich glaube, wenn wir die Liebe zur Musik schon früh in die Schulen bringen, wenn junge Menschen Instrumente lernen und MentorInnen haben, dann macht das viel aus. Es geht auch darum, wie man das interessant macht. You know, it’s just as easy to put a cello solo on Youtube as a make-up tutorial. Und es gibt genug großartige Musikerinnen da draußen, die viele Klicks bekommen würden. Everybody can put on eyeliner. Ich denke, wir müssen es genauso attraktiv machen, dass man Viola spielen oder eine Partitur von Beethoven singen kann. Manchmal eröffnet das eine ganz neue Welt für junge Menschen und wir müssen ihnen den Schlüssel für diese Welt geben.

In jeder Lounge bist du auch immer mit einem Gast im Gespräch, einem Experten für das jeweilige Thema. Gibt es Frauen, die du dir als Gast für eine der zukünftigen RundfunkchorLounges wünschst?

Ich möchte sehr gerne einmal Annette Humpe dabeihaben – die fantastische Annette Humpe von Ideal, Humpe & Humpe und Ich & Ich. Ich kenne Annette, seit ich Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal hier in Berlin war. Sie hat so eine beeindruckende Karriere als Komponistin und Produzentin und ist wahnsinnig talentiert. Sie macht konsequent ihr Ding. Ich glaube, jedes Mal, wenn ihr jemand gesagt hat »Du musst das so machen«, hat sie gesagt »Ne« und hat es konsequent anders gemacht. Ich hätte sie sehr gerne als musikalischen Gast. Oder, let’s go for it: Patti Smith soll kommen. Sie ist nächsten Sommer hier. Let’s get Patti Smith, warum nicht?

Welche Musik hörst du privat am liebsten?

Ich höre ziemlich querbeet, aber Popmusik ist mein Ding. Meine großen Vorbilder sind die Leute, die ich damals in New York in den 80ern oft gesehen habe: Patti Smith, Lou Reed, Iggy Pop, Debbie Harry von Blondie, Elvis Costello, David Byrne von den Talking Heads – diese wahnsinnig intelligenten, tollen Musiker, die meine Jugend geprägt haben. Die altern sehr interessant, finde ich; sie werden nicht schwächer mit dem Alter.

Hast du ein Ritual vor dem Auftritt?

Stimmübungen mache ich immer, das ist mittlerweile eine Art Meditation für mich. Wenn ich die Lounge moderiere, komme ich früh genug, zum Soundcheck, und bleibe gleich da. Ich gehe dann mit Gijs nochmal das Programm durch und versuche, mit ihm auf den gleichen Vibe zu kommen. Und ein bisschen Ruhe vorher, nochmal Lippenstift – dann kann’s losgehen.

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